Kawasaki W 800 und Royal Enfield Interceptor 650 | MOTORRADonline.de

2023-02-16 15:56:00 By : Ms. Jane Liu

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Kühlrippenverzierte Motoren, Speichenfelgen und viel glänzendes Metall – die Kawasaki W 800 und Royal Enfield Interceptor 650 feiern auch mit Euro-5-Update weiterhin den klassischen Motorradlook. Eine mit den beiden zwischen Auspuffblubbern und dem Griff zur Polierwatte.

Fragen an W 800 oder Interceptor 650 gibt es keine. Kein bibeldickes Handbuch buhlt um Aufmerksamkeit, keine transpondergestützte Wegfahrsperre lässt einen schon bei der Suche nach der richtigen Reihenfolge fürs Knöpfchendrücken vorm Losrollen verzweifeln. Assistenzsysteme und moderne Technik sind ohne Zweifel sinnvoll und wichtige Hilfs- und Komfortmittel beim Umgang mit motorisierten Zweirädern. Diese beiden 48-PS-Zweizylinder zeigen aber, dass es auch ohne geht. Ihre Ausstattung umfasst ein ABS. Das war’s. Und auch beim Ablesen aller Infos in den zwei Runduhren liegen alle Daten sofort im Blick. Es gibt genau einen Druckknopf fürs Zappen durchs LC-Display. Der taugt bei der Enfield dazu, zwischen zwei Trip-Anzeigen und dem Gesamtkilometerstand zu wechseln, bei der Kawasaki muss eine Tripanzeige genügen. Dafür weiß das Kawa-Instrument, wie spät es ist. Dazu melden beide Bikes noch den aktuellen Benzinstand. Keep it simple als Prinzip.

Schlüssel rum, und die W 800 bollert bassig-sonor aus ihren beiden tiefliegenden Töpfen, die sich eng an die Schwinge schmiegen. Gut gemeint hat es Kawasaki mit der Abstimmung bei kaltem Motor. Rund um 2.000/min pendelt sich die Leerlaufdrehzahl ein, pöttelt der Motor etwas zu hochtourig im Stand vor sich hin. Die Enfield erledigt das zurückhaltender. Ihr Luft-Öl-gekühlter, ebenfalls feinverrippter Reihenzweier sagt leiser und niedertouriger willkommen zum ersten Zündfunken.

Überhaupt, die Enfield. Da haben sie 2018 nach all den Bullets einfach einen 650er-Zweizylinder in Indien aus dem Hut gezaubert. Die bleibt der klassischen Modellphilosophie von Enfield bis zur letzten Schraube treu. Und auch wenn der Tank nicht hundertprozentig gerade auf dem Doppelschleifenrahmen sitzt, manche Schraube gewiss schmucker ausfallen dürfte, dieses Bike hat was. Es zeigt unumwunden, dass weniger auch mehr sein kann, dass Schlichtheit auch eine Lösung ist, um im gesteppten Sattel Spaß zu haben. Fernab von allem Leistungswettrüsten, vom Höher-Schneller-Weiter, von mancher zweirädrigen Blendgranate, ist die Enfield schlicht ein Motorrad. Für jeden Tag, für jeden Ausflug, zum kleinen Kurs. Für unter 7.000 Euro steht das unaufgeregt designte Indien-Bike beim Händler. Ein feines Angebot, weil die Enfield hält, was ihr Aussehen verspricht. Sanft und mühelos tritt ihr Twin an, erträgt selbst Citytempo im sechsten Gang klaglos. Richtig wohl fühlt er sich, wenn die Drehzahlmessernadel sich im Bereich bis 4.000/min einpendelt. Das genügt, um im höchsten Gang mit Tempo 100 zu rollen. Müheloses Gleiten, Augen auf für alles Drumherum. Fluchtmobil ohne Hast, sondern viel mehr mit der Aufgabe, deinen Blick für all das zu schärfen, was du sonst in aller Eile verpasst.

Im gleichen Umfeld marschiert auch die Kawasaki durch schönste Landstriche auf kleinsten Straßen. Klar, als fast letzte Luftgekühlte auf dem Markt, die von 2016 bis 2019 schon kurz weg war und jetzt trotz Euro 5 immer noch da ist, weiß sie genau, wie das geht. Ihr Auftritt für fast 10.000 Euro: noch eine Spur gediegener, fast so authentisch wie der Ritt auf einem wirklich alten Krad. Klar, da ist die Königswelle. Ein aufwendiger Nockenwellenantrieb. Technisch unnötig. Optisch ein Blickfang. Dazu muss allein der kühlende Fahrtwind dafür sorgen, dass es dem mit 8,4 zu 1 verdichtenden Twin nicht zu heiß wird. Die Enfield besitzt eine Verdichtung von 9,5 zu 1. Werte, die im Leistungswettstreit der Zweiradwelt purer Verweigerungshaltung gleichkommen.

Diese technische Auslegung tut aber beiden Bikes gut. Nur weil sie eben nicht auf maximale Power getrimmt wurden, dürfen sie sein, wie sie sind. Und dass die W 800 dieses Metier beherrscht, zeigt jeder kleine Zupfer am Gasgriff. Eben noch fühltest du dich hinterm schmalen, tief liegenden Lenker auf der geraden Sitzbank und den weit unten angebrachten Rasten um Dekaden Zweiradprägung zurückgeworfen, da tritt der Kawa-Luftikus an. Markig, überraschend kräftig, mit tollem Drehmomentanstieg. Fürs Mitschwimmen im Verkehr reicht das locker, für schweißarme Überholvorgänge allemal. Und um die Enfield im schwingungsentkoppelten Rückspiegel kleiner werden zu lassen, auch. Mit ihrem geringeren Hubraum fehlt der Interceptor 650 etwas vom klaren Anritt der W 800. Ihr Motor müht sich mehr, wirkt ein wenig zugeschnürter. Während die Kawasaki mit ihrem Fünfganggetriebe lustvoll-leicht, mit gut gelungener Kraftentfaltung über alle Wege huscht, mangelt’s der Enfield im Vergleich ein wenig an Wumms von unten. Bei tiefer Drehzahl ans Gas genommen, passiert erst einmal nur wenig.

Leistungsdiagrammdeuter werfen nun ein, dass die Enfield mit ihrem Sechsganggetriebe dafür eine Spur höher dreht. Stimmt. Doch wer braucht das mit diesen Bikes schon? Klar, es geht. Wenn nötig und gewollt, orgeln beide, bis ihre Begrenzer zur Mäßigung aufrufen. Das verschafft ihr im Alltag keinen Vorteil, immerhin liegt sie aber bei der Durchzugsprüfung auf Augenhöhe zur hubraum- und drehmomentstärkeren Kawa.

Beim flotten Tanz brillieren beide nicht mit Handlichkeit, wobei die Enfield bei der Linienwahl freier ist. Hinterm breiten Lenker mit angeschraubter Mittelstange, der auch direkt aus dem Regal von Tommaselli stammen könnte, lässt sich die Interceptor 650 gut führen. Ihre Schräglagenfreiheit reicht auch dank der schmalen Reifen, beide setzen auf einen 100er-Reifen vorne und einen 130er hinten, vollkommen aus. Bei der Kawasaki sieht’s etwas anders aus. Da kreischt im Eck kurz nach den Fußrasten schon der Hauptständer um Hilfe. Dafür liegt sie mit ihrem 19-Zöller vorne stabiler, schaukelt sich beim Ausloten der Schräglagengrenze weniger auf. Die Enfield schwappt dabei eher wie eine Jolle bei Windstärke fünf über die Wellen beziehungsweise die Straße. Ihre Stereodämpfer schinden mit Ausgleichsbehälter Eindruck, haben Druck- und vor allem Zugstufendämpfung aber irgendwo auf dem Weg von Indien nach Europa vergessen. Dazu lässt der Grip ihrer indischen Ceat-Zoom-Cruz-Pneus heiß gefahren spürbar nach. Die Dunlops der Kawa grippen besser. Oder um es kurz zu machen: Ja, beide können in Maßen auch flott, wenn man will und Vertrauen findet.

Aber damit führt man ihre Bestimmung fast wieder ad absurdum. Der Moment mit diesen Bikes gehört nicht dem nächsten Instagram-Post mit sinnfreier Suche nach Lobhudeleien, er gehört dir. Wer auf der Suche nach solchen Augenblicken ist, sollte die beiden in die engere Wahl nehmen. Weil sie eben mehr sind als leistungsschwangeres Fortbewegungsmittel. Ihre offen zur Schau gestellte Technik, die Speichenräder, ihre Rundscheinwerfer, die Faltenbälge – all das strahlt eine Schönheit aus, die unter Motorrädern heute selten geworden ist. Zwei für die Seele und fürs Auge.

Eine Tour mit den beiden schmiert immer knapp an der Pathoskeule vorbei, weil automatisch Begriffe wie "Entschleunigen, Genießen, Alltagsflucht" mitschwingen. Zu dick aufgetragen sind sie aber nicht, weil die zwei eben genau das leisten. Sie widersetzen sich dem Wettstreit, wollen nicht Erster oder Bester werden. Sie sind sich selbst genug. Und ihr Aussehen macht wirklich an. Klasse Mobile für Zeithaber und -sucher.

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